Sonntag, 9. Mai 2010

Ätherische Öle im Einsatz – Besonderheiten in der psychiatrisc hen und gerontologischen Aroma - Pflegepraxis

Selbst in unserer aufgeklärten Welt assoziieren wir mit den Begriffen Psychiatrie und psychisch krank lediglich negativ gefärbte Vorstellungen einer Welt voller Wahnsinniger.

Die Geschichte der Psychiatrie selbst ist geprägt von vielen Irrwegen, grausamen „Forschungsmethoden“ und der Angst einer ganzen Bevölkerung vor dem Wahnsinn. Immer schon mussten psychisch kranke Menschen viel Leid ertragen. Stichwörter wie Hexenverbrennung, Exorzismus, Lobodomie, Rassenhygiene und die Verwahrung, jener in so genannten Narrenhäusern („betreut“ von Wärtern) sind uns auch heute noch ein Begriff.

Psychiatrie und Aromapflege:
Die Vielzahl an unterschiedlichsten Krankheitsbildern, die individuellen oftmals schrecklichen Erfahrungen der psychisch kranken PatientInnen und ihr völlig „andersartiges“ Reagieren auf Düfte, hält so manchen davon ab, auch ihnen die Möglichkeiten der Aromapflege anzubieten.

Der Einsatz ätherischer Öle oder auch der Schulmedizin, lässt sich in der Psychiatrie nicht derart klassifizieren, wie wir es aus anderen Bereichen der somatischen Medizin gewohnt sind. Das Erstellen selbst einfachster Pflegestandards erfordert viel Einfühlungsvermögen und ein hohes Maß an Flexibilität. Auch die Frage der Dosierung bedarf hier einer neuen Einschätzung.

Entspannungsbäder mit Milch und Honig oder auch mit den wenigen verfügbaren ätherischen Ölen, waren schon immer Teil des psychiatrischen Pflegeangebotes. Jedoch meist nur mobilen, selbstständigen und Nicht-akuten PatientInnen (leichte bis mittelgradige Depressionen, leichte Anpassungsstörungen usw.) vorbehalten.

Die Wahl der Öle erfolgte aufgrund des momentanen Angebotes an ätherischen Ölen oder nach persönlichen Vorlieben von Patient oder Pflegepersonal. Die Dosierungen waren zumeist „frei aus dem Handgelenk“, ebenso die Wahl des Emulgators.

Als in anderen Bereichen der Pflege zunehmend Standards für den Einsatz ätherischer Öle erarbeitet wurden, versucht man diese auch in die psychiatrische Pflege zu integrieren. Doch bereits zu Beginn „passierten“ vielfach unerwartete Reaktionen und heftigste Gefühlsregungen. Es zeigte sich, dass für die Psychiatrie eigene Standards nötig sind und vor allem die ätherischen Öle sorgsam ausgewählt werden müssen. Auch die Dosierungsangaben konnten nicht ohne genaue Prüfung übertragen werden.

Der normale „lästige“ Patient

Psychiatrische Symptome, geistige Behinderung oder Minderbegabung sowie kognitive Leistungsschwächen sind keine Krankheitsbilder oder Symptome die nur isoliert auf einer Psychiatrie zu finden sind.

Vielfach sind nun auch Pflegende und Mediziner aus den konservativen Bereichen daran, sich aufgrund der steigenden Nebendiagnosen aus dem ICD 10 Kapitel F in diesem Fachgebiet fortzubilden. Dennoch fällt es schwer dem Patientenklientel die nötige Unterstützung und Hilfe im Rahmen einer konservativen Station zu bieten. Die Frustration bei Patient und Team steigt demnach mit jedem neuen Negativerlebnis. Neben der fehlenden Ausbildung/praktischen Erfahrung und dem ständig wachsenden Leistungsdruck an unsere Berufsgruppe - bei sinkender Mitarbeiterzahl – bietet zum Beispiel eine Interne Station nicht das geeignete Setting für die Betreuung eines Borderlinepatienten.

Da ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn dem Pflegepersonal selbst bei kleinen Abweichungen im Stationsablauf die Puste ausgeht.

Jeder weiß, dass sich unsere Patienten nicht nur im klinischen Bild unterscheiden, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsstruktur. Ein Krankenhausaufenthalt stellt auch für sie und ihre Angehörigen eine große Belastung dar. Sie sind verängstigt, verärgert und ungeduldig. Sie verstehen die Sprache des Behandlungsteams nicht und fühlen sich gegenüber anderen Patienten benachteiligt. Die einzige Möglichkeit für sie, sich zu „Wehren“ und die eigenen Rechte einzufordern geht über das Pflegepersonal. Je nach ihren persönlichen Problemlösungsfertigkeiten sieht dieser Weg unterschiedlich aus:
• ruhig und unterwürfig fragend, bittend
• selbstlos, aufgebend und hilfsbereit – auf andere hoffend
• Verantwortung abgebend, absoluter Rückzug aus dem eigenen selbstständigen Leben
• die Selbstbestimmung massiv zurückerkämpfend
• lässig und cool abwartend
• ängstlich und Unruhe verbreitend um Hilfe suchend

Einem eigenen Verlust der „Kontrolle oder Selbstbeherrschung“ ist in diesem Falle nur vorzubeugen, wenn man sich der Situation des anderen bewusst wird. Man Verständnis für diese Ausnahmesituation aufbringen kann und klar und deutlich das eigene Befinden dem Gegenüber schildert. Nur so kann die Qualität der Pflege unter dem steigenden Leistungsdruck gehalten werden.

Hilfreich sind hier nicht nur die persönliche Einstellung und ein klarer Kommunikationsstil, sondern auch die Verwendung ätherischer Öle. Einerseits der Einsatz beruhigender, ausgleichender und angstlösender Öle auf Seiten des Patienten und seiner Angehörigen. Andererseits persönliche Wohlfühlmischungen oder aktivierende, konzentrationsfördernde Öle bei den Pflegenden.

Grenzzonen der Anwendung:
Unabhängig davon, wie sie in ihrer Institution mit dem Thema Implementierung umgehen und welche Ausgangsfaktoren sie zu beachten haben, gibt es in der psychiatrischen Pflege eine wichtige Grenze zu beachten: BERÜHRUNG.

Psychisch Kranke sind im Allgemeinen sehr sensibel, sie nehmen viel Verborgenes wahr und stellen das Wahrgenommene in Frage – analysieren es. Reizüberflutung ist hier das Stichwort. Visuelle, akustische und olfaktorische Reizen können im Stationsalltag gut verarbeitet werden – Probleme entstehen meist erst bei zusätzlichen taktilen Reizen. Berührung und hier vor allem ungefragte Berührung stellen Grenzüberschreitungen und ein Eindringen in die persönliche Intimsphäre dar. Das mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis kann hier mit einer einzigen unbedachten Bewegung auf ein Minimum reduziert werden – Misstrauen und Unsicherheit treten an dessen Stelle.
Jede Berührung – auch Initialberührungen zu Gesprächsbeginn und aufmunternde Gesten – sollten mit bedacht gewählt werden, Massagen nur bei entsprechendem Vertrauensverhältnis und mit Einverständnis der Patienten. Dennoch sollte man auch dann nicht mit einer Bauchmassage beginnen, sondern sich langsam und über mehrere Anwendungen „herantasten“. Beginnend mit dem Körperteil, welcher vom Patienten selbst als angenehm und unverfänglich bezeichnet wird.

Dosierung und Auswahl der ätherischen Öle

Auswahl ätherischer Öle
Bevor Sie Jemanden eine Unterstützung mit ätherischen Ölen anbieten, sollten Sie für sich einige Fragen klären:
1. Unter welchen Symptomen leidet der Patient?
2. Was möchte ich mit dem Einsatz ätherischer Öle erreichen?
3. Welche Form der Anwendung möchte ich anbieten?
4. Welche ätherischen Öle stehen mir zur Verfügung? Möchte ich einige dieser Öle bereits vorab ausschließen?
5. Hauptinhaltsstoffe der vorhandenen ätherischen Öle und deren Wirkungsweise?
6. Was möchte ich keinesfalls erreichen?

Erst danach sollten Sie dem Patienten gegenübertreten. Ihn über ihre Absichten informieren, die Aromapflege und ihre Möglichkeiten erklären und um sein Einverständnis fragen: „Der Patient als gleichwertiger Partner!“

In einem gemeinsamen Gespräch kann nun auf die individuelle Problematik des Patienten eingegangen und eine Auswahl an ätherischen Ölen getroffen werden. Unterstützend sind hier wieder folgende Leitfragen, diesmal aus Sicht des Patienten:
1. Unter welchen Beschwerden leide ich besonders?
2. Was möchte ich Mithilfe der ätherischen Öle erreichen? Was verspreche ich mir davon?
3. Was möchte ich keinesfalls erreichen? Wovor habe ich Angst?
4. Welche Form der Anwendung sagt mir besonders zu?
5. Welche ätherischen Öle sagen meiner Nase zu? Welche möchte und kann ich überhaupt nicht riechen?
6. Was lösen die von mir bevorzugten ätherischen Öle bei mir aus?

Anschließend werden die bevorzugten ätherischen Öle ausgewählt und die Art der Anwendung bestimmt. Die Mischung erfolgt wieder gemeinsam mit dem Patienten, der die Intensität des Duftes mitbestimmt. Hier gilt vor allem das Prinzip von „Versuch und Irrtum“.

Dosierung in der psychiatrischen Pflege
Psychisch kranke Menschen sind sehr empfindsam. Alle ihre Sinne sind sozusagen in „Alarmbereitschaft“ und nehmen selbst kleinste Sinneseindrücke auf. In der Regel kann man dennoch ohne Probleme mit 1%igen Mischungen arbeiten. Psychiatrische Patienten sind sehr direkt: individuelle Vorlieben und Bedürfnisse werden klar und deutlich reflektiert. Eine Adaption der Dosierung kann somit rasch erfolgen.

Dennoch ist bei einigen Patientengruppen eine andere Dosierung angezeigt. Besonders chronisch Erkrankte und Patienten mit besonders starker Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit und äußeren wie inneren Wahrnehmung bedürfen einer deutlich geringeren Dosierung.


Besonders wichtig ist ein behutsames und gering dosiertes Vorgehen bei folgenden Patientengruppen:
Psychotische Patienten
Manische Patienten
Schwerst depressive Patienten und Patienten mit Burn Out
Schwerst traumatisierte Patienten
Verwirrten Patienten
Essstörungen
Zwangsstörungen

Eine Dosierung mit 1% ist bei folgenden Patientengruppen bisher unproblematisch verlaufen:
Angst- und Panikattacken
Geistige Behinderung Grad 1 bis 3
Persönlichkeitsstörungen
Sexualstörungen

Aber auch Dosierungen die höher sind als gewöhnlich kommen bei psychisch kranken Menschen vor – siehe Seminarinhalte „Duft und Psyche“.

Eine weitere Patientengruppe, bei der unterschiedliche Dosierungen angezeigt sind, ist die große Gruppe der Suchterkrankungen.

Um allen unterschiedlichen Krankheitsbildern gerecht zu werden und den Menschen dahinter, empfiehlt es sich mit den geringsten Dosierungen zu beginnen und gegebenen falls später langsam zu erhöhen.
Unbedingt erforderlich ist jedoch eine kontinuierliche Begleitung und Beobachtung des Patienten. Um eventuelle Veränderung in dessen Befinden und Verhalten rasch zu erkennen und umgehend darauf reagieren zu können.
Niemals darf ein Patient mit einer „neuen“ Mischung alleine gelassen werden!

Zusammenfassung
Ätherische Öle in der Psychiatrie? Ja, natürlich. Einfach umzusetzen? Ja, mit dem nötigen Feingefühl und Know How. Funktionieren Mischungen aus dem somatischen Bereich? Sicherlich, bei einigen Krankheitsbildern ist jedoch Vorsicht in der Dosierung geboten. Auch können einige wenige Öle nur bedingt eingesetzt werden.


So schwierig und auch aufwendig die richtige Wahl ätherischer Öle und das Finden der optimalen Dosierung im Bereich der psychiatrischen Pflege sein können, so enorm sind allerdings auch die Erfolge welche hier verzeichnet werden.

Man muss „lediglich“ mit der nötigen Sorgfalt und dem nötigen Respekt gegenüber Patient und ätherischen Ölen vorgehen und auf eine langsame Annäherung der Dosierung achten.

Wichtig ist es, vorab die Situation genau einzuschätzen, intensive Beziehungsarbeit zu leisten, Vertrauen aufzubauen, die Wahl des ätherischen Öls sorgfältig zu überdenken und auf den geeigneten Moment, das Timing zu achten – also das tägliche Brot in der psychiatrischen Pflege.

Vor allem bei psychotischen Zuständen sollten sie die Wahl ihrer ätherischen Öle gut bedenken und nur Einzelöle in hoher Verdünnung einsetzen. In der Regel beginne ich mit einem Tropfen auf 100ml bzw. 50 ml für erste Geruchsproben und arbeite mich nur langsam hoch. Bei akut-psychotischen Zustandsbildern verzichte ich gänzlich auf den Einsatz ätherischer Öle.

Sprechen Sie mit ihrem Gegenüber! Fragen sie nach Veränderungen oder Gefühlsregungen! Bleiben sie im Kontakt! Und, setzen sie ätherische Öle nur ein, wenn sie genügend Zeit haben, den Patienten in dieser Zeit zu begleiten!

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Herzlich Willkommen

Mein Name ist Claudia Arbeithuber, ich bin dipl. psychiatrische Gesundheits- und Krankenschwester und arbeite seit nunmehr 9 Jahren in der freien Pflegepraxis. Ich beschäftige mich mit: ätherischen Ölen, komplementäre Heilmethoden, Duftberatung und halte Seminare zu diesen Themen. Ich unterrichte auch in der Krankenpflegeschule und habe eine Ausbildung zur Aromapflege nach §64 mitbegründet. Ich wünsche viel Spaß beim Stöbern in meinen Unterlagen. Liebe Grüße Claudia

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